Spätsommer im ferienhaus

 

 

 

Ist heute ein Feiertag?". Lilly wundert sich, dass an ihrem zweiten Montag in Rom, großes Treiben im Apartment herrscht. Sie wird ein wenig nervös, da ihre freie Woche vorbei ist und sie sich ab jetzt um die beiden Mädchen kümmern soll. Scheinbar ist der Vater, der sich bisher als Diplomat in Mailand aufhielt seit ihrer Ankunft, anwesend im mit hellem Marmor ausgelegten Esszimmer. 

 

 

Gerade als sie sich frisch machen will, kommen Enrica und Barbara ins Zimmer gestürmt und verkünden - da sie ja schon ein Jahr lang mit ihrer Vorgängerin Deutsch gelernt haben - dass sie mit dem Vater ins Ferienhaus fahren werden. "Ja.". Lilly überlegt, was das jetzt für sie heißt. "Du kannst mitkommen, wenn du willst."

 

 

"Ja, natürlich komm ich mit euch.", freut sie sich, weil sie auf keinen Fall hier alleine in der Wohnung zurückbleiben will. Sie guckt zum Fenster raus, der Sommer ist immer noch sehr präsent, weshalb sie nur die Tasche packt und als sie in die Wohnräume tritt, begrüßt wird, als wäre sie ein Hollywood-Star.

 

 

Die Nana ist anwesend, strahlt in einem ihrer zahlreichen pastellfarbenen Kostümen und Schmuck, der schwer und teuer wirkt, aber durch die knalligen Farben Jugendlichkeit vermittelt, sowie der Vater, den sie zum ersten Mal richtig sieht und deswegen als ersten begrüßt, die quirrlige, blonde Mutter, die meistens enge Hosen trägt, auffallende Gürtel, mit schicken Jäckchen über farbigen Spagettiträger-Shirts, viel Schmuck um den Hals und an den flinken Fingern, sowie münzgroße, pendelnde Ohrringe, die mit ihrem schulterlangen, goldenen Haar spielen.

 

 

Die Kinder richten ihr den Sessel und Lilly nimmt am reichlich gedeckten Frühstückstisch Platz, dessen marmorne Tischplatte so groß und dick ist, wie ein Deckel auf einem Königsgrab. Die Sonne scheint bereits hell auf dieses weiß-silberne Esszimmer-Ambiente, das von, das Licht in seine Spektralfarben brechenden, ausufernden Glaslustern zu einem Luxus-Palazzo verzaubert wird. Sie prägt sich ein, wie der Tisch gedeckt ist, um das in Zukunft nachstellen zu können, beobachtet aus welchen Laden Besteck geholt wird und in welcher der verspiegelten Vitrinen die Gläser stehen.

 

 

Die Nana verabschiedet sich und es ist tatsächlich so, dass es nach dem Abräumen gleich ins Auto geht und weiter Richtung Ozean. Ihr wird schlecht am Rücksitz, weshalb sie das Fenster öffnet und das Gesicht raushält zum Durchatmen und dabei die Landschaft, die an ihr vorbeizieht, in sich verinnerlicht. Eigentlich dachte sie, dass sie sich in einer Großstadt aufhalten wird, stattdessen hat sie seit einigen Tagen einen richtigen Naturschock verabreicht bekommen und das soll noch so weiter gehen.

 

 

Die Mädchen Enrica und Barbara sind Sechs und Acht, also hat Lilly eigentlich noch nichts anderes zu tun als mit ihnen Deutsch zu sprechen. Witzigerweise verhalten sie sich neben ihr immer brav und ruhig, während sie sonst rasant und aufgedreht durch die Wohnung laufen, stellt Lilly erleichtert fest.